Krieg in der Ukraine – Ein Kommentar

Nicht mal 800 Kilometer liegen zwischen Berlin und der ukrainischen Stadt Lwiw, unweit der Grenze zu Polen. 800 Kilometer, das ist näher als die Entfernung von Sylt zum Bodensee. 800 Kilometer und es herrscht Krieg – ein europäischer Krieg. Der russische Bär hat wenig getan, um seine Absichten zu verbergen, hat – mit Belarus – ein Waffenarsenal an der Grenze etabliert, während der Westen mit Unbehagen und vor allem Unschlüssigkeit zusah. Wladimir Putin hat noch am Montag die Souveränität der Separatistengebiete Luhansk und Donezk erklärt, der Ukraine diese Legitimation widersagt. Russland setzt die Figuren auf dem osteuropäischen Schachfeld, der Westen scheint keinen Zugang zu den Geschehnissen zu haben. Wie sonst kann die Apathie westlicher Staaten gegenüber den Gefechtsszenen aus dem Osten des Landes erklärt werden? Etwa mit Angst? Mit Angst vor dem russischen Bären und seinem Bruder China?
Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Neo-Appeasements.
Seine Spuren sind Verwüstung, Leid, Vertreibung.

Für eine Zeit hat sich Russland nach dem Fall des Eisernen Vorhangs unter der Flagge des neuen Kapitalismus „verwestlicht“. Nach rückläufigen Entwicklungen der letzten Jahre hat es diesen Status nun endgültig abgelegt, er fiel mit den ersten Schüssen auf die Ukraine.
Russland hat sich schon seit langem kaum mehr bemüht, seine territorialen Ansprüchen zu verbergen. Fast zwei Drittel aller Einwohner wünschen sich die Sowjetunion zurück, wie eine Studie des Lewada-Zentrums aus dem vergangenen Jahr zeigt. Für die kleinen Teilrepubliken der Sowjetunion – vom Baltikum bis nach Kasachstan – brachte das Ende der UdSSR völkerrechtliche Souveränität. Russland verlor im Fall des Eisernen Vorhangs die territoriale Integrität der Sowjetunion, aber auch eine Weltanschauung, die über Jahrzehnte in den Bildungseinrichtungen vermittelt worden war.
Der Kreml setzt alles daran, die Ukraine völkerrechtlich von der Bildfläche zu tilgen. Auch das Baltikum und andere ehemalige Teilrepubliken sind von solchen Entwicklungen bedroht. Die Geschehnisse der vergangenen Tage rufen uns eindrücklich die Bedeutsamkeit eines starken, geeinten Westens und die Wichtigkeit der EU aber vor allem der NATO vor Augen. Jahrzehntelanger Frieden schützt nicht vor Krieg, auch nicht in Europa.
Die Ukraine mag nicht in der geografischen Mitte Europas liegen, aber in diesen Tagen ist sie – mit allen ihren Einwohnern – im Zentrum jedes europäischen Herzens.

geschrieben am 25.02.22

Simon Grauers (Q1-Jahrgang)

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